Beteiligte: Goral
Wörter: 1673
…::: USS Britannia – Deck 2 – Quartier :::…
Er war mir die Antwort schuldig geblieben. Natürlich war er das. Ich hatte ihn sicherlich ziemlich überrumpelt. Und ihm bisher auch keinen Grund gegeben nett zu mir zu sein. Er war nett zu jedem. Auch zu mir. Aber distanzierter.
Aber ich war früher nicht fair zu ihm gewesen. Grundlos abweisend. Zumindest aus seiner Sicht. Obwohl. Er hatte es sicher darauf geschoben das ich Angst vor ihm hatte… Und in gewisser Weise hatte ich das auch.
Die Untersuchung war schweigend abgelaufen. Und er hatte deutliche Schwierigkeiten gehabt sein Lächeln aufrecht zu erhalten. Als er mich schließlich entließ war ich sitzen geblieben und hatte ihn noch einen Moment angesehen. „Soll ich ihnen die Geschichte erzählen?“ Nach dieser leise gestellten Frage war sein Lächeln endgültig verschwunden. Und er hatte mir wieder nicht geantwortet. Mit einem Seufzen war ich schließlich aufgestanden. „Überlegen sie es sich. Wenn sie wollen kommen sie doch mal zum Abendessen vorbei. Mein Quartier ist leicht zu finden.“
So lag die Entscheidung ob und wann er die Einladung annahm ganz bei ihm. Ich hatte ihn mehr als genug bedrängt.
Ich hatte es mir nicht nehmen lassen doch noch einen kleinen Abstecher in mein Büro zu machen. Nur noch einmal kurz nachschauen. Ein paar Kleinigkeiten erledigen die mir eingefallen waren. War ich kontrollsüchtig? Ein bisschen vielleicht. Aber vor allem wollte ich alles richtig machen. Diesmal sollte mich niemand in Frage stellen. Und erst recht keiner meiner eigenen Leute. Nein, diesmal sollten mich alle als rechtmäßige und fähige Abteilungsleiterin anerkennen. Und wenn ich dafür 20 Stunden am Tag in diesem Büro oder sonstwo auf diesem Schiff unterwegs sein musste um noch so winzige Reparaturen durchzuführen. Obwohl. Für den Kleinkram hatte ich ja jetzt mehr als genug Leute. Irgendwie ein gutes Gefühl… Ein bisschen wie früher. Aber nur ein kleines bisschen…
Ich hatte mich umgezogen, meine wenigen Habseligkeiten verstaut. Ich war die erste die dieses Quartier wieder ganz offiziell als Cheftechniker nutzte. Ausgestattet mit allen Annehmlichkeiten und ganz viel Ausblick. Und viel zu groß. So viel Platz war ich nicht gewohnt.
Ich saß auf dem Sofa, den Kopf auf der Rückenlehne, den Blick aus dem Fenster. Ich wollte die Sterne sehen. Aber da war nur Stahl. Abflug war erst morgen. Obwohl die Vorbereitungen auf Hochtouren liefen. Zaubern konnten wir nicht. Also musste ich warten. Und bis dahin auf die nicht gerade unendlichen Weiten der Resolution starren.
Der Türsummer riss mich aus meinen Gedanken.
Der Anblick der Person vor meiner Tür überraschte mich. So schnell hatte ich nicht mit ihm gerechnet. Erinnerungen stiegen in mir auf. Angst…
…::: Rückblende – Deep Space 5 :::…
„Hey, Alex, bist du da?“ – „Komm rein, die Tür ist offen.“ Ich schob die Unterlagen auf dem Tisch zusammen, lehnte mich zurück, die Füße auf der der Ecke der Tischplatte. „Kleine Mädchen sollten nicht so viel arbeiten.“, zog er die Tür hinter sich zu. „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass…“ – „…du kein kleines Mädchen bist, ich weiß.“ Was ihn nicht davon abhielt mich immer wieder so zu nennen. Er war der einzige dem ich es durchgehen ließ. Den ich so nah an mich ran ließ. Seit meine Eltern mich zurück gelassen hatten, kümmerte er sich um mich, half mir bei den Geschäften, passte auf mich auf. Das Geschäft lief gut, allen Widerständen zum Trotz. Die meisten Händler mochten mich, meinen Biss. Und so kam ich gut zurecht. Mit dem legalen, sowie mit dem illegalen Teil des Geschäfts. „Was kann ich für dich tun?“
…::: Quartier :::…
Jetzt saß er in einem der Sessel, vor ihm auf dem Tische eine Tasse Tee. Etwas zu Essen hatte er abgelehnt. Mit angezogenen Beinen saß ich ihm gegenüber auf dem Sofa, den Tisch als Sicherheitsabstand zwischen uns. Das Prickeln in meinem Nacken beinahe unerträglich. „Sie scheinen sich sehr unwohl zu fühlen.“ Eine mehr als offensichtliche Feststellung. „Es ist ihr Gesicht, die Stimme, die Statur… Ich kannte mal jemanden der ihnen sehr ähnlich war. Jemanden der mir sehr wichtig war. Früher, in einem anderen Leben…“ Ich nippte an meiner eigenen Tasse. Wie viel konnte und sollte ich ihm verraten? Die ganze Geschichte? Aber konnte er sonst verstehen warum…
„Ich wurde auf Deep Space 5 geboren. Wahrscheinlich. Meine Eltern, diejenigen die mich aufgezogen haben, erzählten mir sie hätten mich in einem Frachtraum gefunden. Sie haben sich um mich gekümmert. Ich habe mich nie gewundert über all die finsteren Typen die bei uns ein und aus gingen, darüber das ich im Nahkampf ausgebildet wurde, im Umgang mit Waffen jeder Art…“ Sein Blick sprach von Verwirrung, aber er sagte nichts. „Irgendwann habe ich dann verstanden das sie Söldner waren und der Handel mit Waffen und allen möglichen Komponenten nicht ganz legal war. Aber es war normal. Zumindest für mich. Ich war wohl sowas wie ihr Maskottchen. Und ich war glücklich.“ Meine Hände zitterten leicht. Es war gefährlich ihm das zu erzählen. Es konnte mich alles kosten. Meinen Posten, meine ganze Karriere. Dann wäre alles umsonst gewesen.
„Als ich 13 war sind sie ohne mich abgehauen. Keine Ahnung wo hin. Und plötzlich war ich allein. Bis auf einige Untergebene meiner Eltern und ihn. Alle wollten das Geschäft übernehmen, es herrschte Unruhe, Misstrauen. Er war ihre rechte Hand gewesen und hat sich um mich gekümmert. Mir geholfen bis alle eingesehen hatten das ich der neue Boss bin. Zumindest dachte ich das.“
…::: Rückblende :::…
Er ließ sich neben meinen Füßen auf die Tischplatte sinken. Strich mir ein paar Haare aus der Stirn. „Du bist viel zu süß für diesen Job.“ – „Deswegen bin ich ja so gefährlich. Niemand kann mir widerstehen.“ – „Das ist das Problem an der Sache Alex.“ Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Es war einfach sich auf deine Seite zu schlagen. Die Händler kanten dich, schätzten dich. Machten gerne Geschäfte mit dir. Es war einfacher sich auf deine Seite zu schlagen, für Ordnung zu sorgen und auf den richtigen Zeitpunkt zu warten.“ Ein ungutes Gefühl stieg in mir auf. „Den richtigen Zeitpunkt wofür?“ Das Lächeln auf seinem Gesicht war noch immer freundlich. Und doch spannte ich mich an. „Alles zu übernehmen.“ Vorsichtig und langsam nahm ich die Füße vom Tisch, stand auf. Er beobachtete mich beinahe amüsiert. „Aber wie du schon sagtest, niemand kann dir widerstehen. Sie lieben dich, sind dir treu. Sie würden eine Übernahme des Geschäfts durch mich nicht akzeptieren.“ Vorsichtig ging ich ein paar Schritte rückwärts. Er schüttelte den Kopf. „Gib dir keine Mühe, draußen im Laden ist niemand und die Tür ist zu. Weißt du, ich habe beschlossen das du weg musst. Und da du nicht freiwillig gehen wirst…“ Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Nein, das tust du nicht.“ – „Ich tue es seit Monaten. Ich versuche seit fast einem Jahr alles zu übernehmen. Aber keiner will Geschäfte mit mir machen. Es heißt immer nur: „Wir machen das mit Alex aus.“ Alle sehen mich nur als dein Schoßhündchen. Glaubst du ernsthaft dieser Typ letztens wäre von alleine auf die Idee gekommen dich anzugreifen? Ich habe ihn bezahlt.“ Er wurde lauter, wütend, kam auf mich zu.
…::: Quartier :::…
Ich stellte die Tasse weg um nicht doch noch etwas zu verschütten. Das Zittern meiner Hände wurde immer stärker. „Wir waren Freunde. Ich habe ihm bedingungslos vertraut. Ich… er…“ Ich brach ab, sah ihn wieder an. In dieses Gesicht, das mich jetzt besorgt ansah. Und trotzdem stand ich auf um Abstand zwischen uns zu bringen. Einen sicheren Abstand. Genug Raum um vorhersehen zu können was er tat. Um mich nicht noch einmal überrumpeln zu lassen.
Doch er bewegte sich nicht vom Fleck. Sah mich nicht einmal an. „Was ist passiert?“, fragte er stattdessen leise. Gerade laut genug das ich ihn verstehen konnte. Konnte er sich das nicht denken?
…::: Rückblende :::…
Ich war wie paralysiert.
Realisierte erst was wirklich passierte als seine Hand sich schon um meinen Hals legte, er mich gegen die Wand drückte. „Also meine Süße, wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben als dich selbst aus dem Weg zu schaffen.“ Ich schnappte nach Luft, bekam aber keine. Strampelte, schlug nach ihm. Erreichte aber nichts. Meine Lungen brannten. „Ich wünschte wirklich du würdest freiwillig gehen. Aber eigentlich ist es so viel witziger. Du glaubst gar nicht wie lange ich das schon tun wollte.“
Die Erkenntnis das er mich wirklich umbringen wollte überrollte mich. Und ab da übernahmen meine Instinkte und das jahrelange Training die Kontrolle. Schneller als ich daran denken konnte zog ich das Messer, das ich immer bei mir trug hervor und rammte es in seinen Arm. Es war nur klein, aber es reichte. Mit einem Knurren ließ er mich los, wich zwei Schritte zurück. Hustend rang ich nach Luft. „Kleines Biest.“, kam er wieder auf mich zu. Ich wich ihm aus, hastete zurück zum Schreibtisch, zog aus einer der Schubladen ein weiteres Messer. „Du willst spielen? Fein.“
„Ich habe dir vertraut.“ – „Ja, danke. Das hat es einfacher gemacht.“ War ich wirklich so blind gewesen? Hatte ich es all die Zeit nicht bemerkt? Hatten meine Instinkte mich bei ihm im Stich gelassen? Das konnte nicht wirklich passieren. Nicht er. Nicht nachdem sie mich schon im Stich gelassen hatten.
„Und jetzt sei so nett und stirb endlich.“, griff er mich wieder an. Ich duckte mich, griff das Messer fester. Ein Ausfallschritt, eine halbe Drehung. Eine Abfolge die ich schon so oft geübt hatte das sie von alleine ablief. Abspringen, eine Hand auf seiner Schulter und dann nur noch zustechen. Genau zwischen die Halswirbel, eine halbe Drehung mit dem Messer. Mein Vater hatte mich im Training immer für meine Präzision gelobt. Ich traf immer. Er war sehr stolz auf mich. Und ich hatte mich über das Lob gefreut.
Als ich jetzt wieder auf dem Boden aufkam war alles anders. Vater war nicht hier. Das Knirschen als das Messer sich zwischen die Knochen schob hallte überlaut in meinen Ohren nach. Und der letzte in meinem Leben, dem ich es ohne zu zögern anvertraut hatte lag tot auf dem Boden. Mit meinem Messer im Genick.
…::: Quartier :::…
„Er hat mich verraten und ich habe ihn getötet.“
Stille breitete sich im Raum aus. Er sah mich noch immer nicht an. Was mir ganz recht war, so musste ich nicht in dieses Gesicht blicken. In dieses vertraute, geliebte, niederträchtige, verhasste Gesicht aus der Vergangenheit.