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RubensWolf
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So 21. Aug 2011, 23:54

Wörter: 1714

Beteiligte Personen: namenloser Wissenschafts-Ensign




== Deck 10, Schiffscasino ==

Seufzend rieb ich mir das müde Gesicht mit beiden Händen, hoffte, dass die Wärme meiner durchbluteten Glieder das Brennen in den Augen lindern könnten. Ich wusste nicht, woran es lag, doch seit meinem Wiedereintritt in den Dienst schien mir etwas an Energie zu fehlen. Ich fühlte mich wie lauwarmes Essen, hatte die Textur eines zu oft benutzten Handtuchs, und schien mich kaum davon erholen zu können. Nicht, dass der Dienstplan mir öfter als jemandem sonst eine Doppelschicht zuteilte, oder mein Aufgabengebiet ein sonderlich mühsames oder monotones war. Es schien, als würde etwas anderes an mir zehren, vermittelte mir das Gefühl eine Bleiweste zu tragen. Morgens, nach der Gamma-Schicht, fühlte ich mich erschlagen und dennoch unfähig einzuschlafen, als würde mich eine innere Unruhe wach halten. Vor Schichtbeginn fehlte mir einfach der Appetit, wenn ich mich fühlte, als hätte ich ein Bündel Shuttle-Isolierungsmaterial geschluckt. Und mitten drinnen, spät nachts, quälte mich eine Ahnung des inneren Ungleichgewichts, dessen Kippen mir wie ein Raubtier aufzulauern schien. Ich starrte kurz auf das PADD in meiner Hand, bewegte mich durch die Aufgabenliste und die bereits eingereichten Datensätze meiner Kollegen, und entwickelte wenig Begeisterung.

Obwohl ich mehr als nur zufrieden damit war, nicht mehr das hundertste System und den tausendsten Stern in seinen Qualitäten zu erfassen, in die Simulation des Fluges einzuarbeiten, und mit der Kursplanung abzugleichen, erfreute es mich, das kurzzeitig beiseitelegen zu können. Ich sah kurz zu dem Datenträger, der zu meiner Linken lag, und entschloss mich dann doch nach dem Kaffee greifen, bevor ich mich mit meinen neuen Aufgaben widmete. In der rechten Hand haltend zeigte mir das Display eine Indexdatei der Datenbank der Longstroem-Forschungseinrichtung. Das war ein Service, der üblicher Weise nur zivilen Forschenden zugänglich war, denn ich erinnerte mich dunkel daran, während meiner Grundausbildung von Vorschriften gehört zu haben, die das verboten. Aber zuvor hatte ich während des Studiums schon davon gehört. Die Wissenschaftler dieser Institution verfuhren mit ihren Daten recht großzügig, da sie der Meinung waren, dass Wissen jedem Volk und jeder Person zur Verfügung stehen sollte, die es zu gutem Nutzen anwenden würden. Und das gefiel dem Wissenschaftler in mir, denn ich empfand recht ähnlich. Ich seufzte, als ich mich daran erinnerte, was, und wie ich selbst einmal war.

Ich dachte zurück an meine Studienzeit, in der ich noch so viel aus mir machen wollte. Als ich auf Alpha Centauri VII noch von der Laufbahn des Einsteins des 25. Jahrhunderts träumte, dachte ich, ich könnte mit meiner Energie die Raumzeit krümmen. Und nun saß ich, am letzten Tisch beim Eingang, im Casino der Britannia. Und hatte bereits großes Glück, oft auch im Unglück, das überhaupt noch sagen zu können. Ich war nicht mehr überzeugt davon, ein Unikat in diesem Universum zu sein, selbst wenn man dort landete, wo niemand sonst in den nächsten 50 Jahren sein würde. Aber, was nutzte das, wenn man niemandem davon erzählen konnte? Wenn die Daten, die wir mit den Sensoren der Phoenix gesammelt hatten, in einer kaum gepflegten Datenbankserver im Keller eines Flottenarchivs landen würden? Eher noch die Spezifikationen der modifizierten Sensorenphalanxen konnte ich mir in einer Ingineurswerkstatt der Flotte vorstellen. Und um welchen Preis? Ich fasste unbewusst mit der freien linken Hand nach meiner Kaffeetasse, und hielt kurz inne, als ich sie genauer betrachtete. Wären sie dürr gewesen, hätte ich geschworen, meine Finger würden zu der Hand eines toten gehören, und es schauderte mir ungemein. Das Atmen fiel mir schwer, als sich die gefühlte Bleiweste schwer auf mich legte, und dann noch zu schrumpfen schien, wie eine Boa um ihr Opfer. Ich verglich nach dem ersten Grauen meine beiden Hände, schob den linken Uniformärmel bis zum Oberarm hoch, und tatsächlich hatte sich, eine Hand breit unterhalb des Ellenbogens, eine geisterhafte Grenze zwischen meinem Arm und der blassen, unnatürlichen Kopie meiner Linken geformt. Selten hatte ich einen Raum so schnell verlassen wie nun das Casino, und von Müdigkeit war keine Spur geblieben.




== Deck 12, Computerlabor ==

Und auch Deck 12 konnte man wohl kaum schneller erreichen, als ich es getan hatte. Meine Irritation stieg zusätzlich, als ich auf den mir namentlich noch immer unbekannten Ensign mit dem blauen Kragen. Es gefiel mir nicht im geringsten, als sich der Korridor kurz vor dem Turbolift durch zwei turtelnde Gelbkrägen die Hälfte der Gangbreite einnahmen. Sie spielte das schüchterne Mädchen, und stand an die Wand gelehnt da, während er den starken Mann markierte, und sich mit einer Hand seitlich über ihrem Kopf abstützte, und man grinste im Gleichtakt. Und wer kam zum Vorschein, als die Türen der Liftkabine sich öffneten? Mein Stylingberater, der es sonderbar darauf angelegt hatte, sich um das Wirken unserer Zusammenkünfte zu bemühen. Ich wäre schnell genug gewesen, um vor ihm die Engstelle passieren zu können, und mit einem eiligen Nicken hätte ich mich der Angelegenheit vielleicht entziehen können. Doch, gerade als mich noch eine Armlänge von dem Rücken des Mannes trennten, der die kleine Brünette mit seinem weißen Gebiss zu beindrucken versuchte, machte der Fähnrich vor mir grinsend einen kleinen Hopser, als wäre er mit einem kleinen Sprung auf mich zugehüpft. Und so passierte es, dass wir uns aneinander vorbeidrängten. Instinktiv wählte ich in diesem Moment die Außenseite des Ganges, um zumindest meinen Rücken von kaltem Metall gesichert zu wissen. Meine Linke hatte ich, um sie zu verbergen, hinter dem Rücken gehalten, und auch, um sie selbst nicht sehen zu müssen... in mir regte sich, genau in dem Moment, als der jüngere Mann und ich uns Auge in Auge gegenüber standen, ein scheinbar innerster Instinkt, gefühlt, als wäre er mir in den Chromosomen eingebrannt.

Ich vermochte in diesem Moment nicht zu sagen, wie viel Platz er gehabt hätte, um mir nicht so nahe zu kommen, aber unsere Vorderseiten trennte wohl keine Handbreit, und mit weit geöffneten Augen, rasendem Puls, und dem Gefühl von Platzangst starrte ich ihn an. Sein grinsen, sein Schlafzimmerblick, seine Augenbrauen. Es war nur dieser kleine Teil, Ausschnitt aus all dem, was um mich herum passierte, aus der Unendlichkeit des Alls, der mir ein alt bekanntes Gefühl in Erinnerung rief. Eine Szene meiner Kindheit, an meinen Großvater, mit seinem drahtigen Gesicht, schwach und flimmernd beleuchtet von dem aktivierten Wandschirm. Er hatte mir damals einen Film aus der Vergangenheit der Erde gezeigt, sozusagen ein geistiges Erbstück, dass bereits vierhundert Jahre in Familienbesitz war. Gehütet, und stets auf sonderbar zufällige Weise vom Großvater an den Enkel weitergegeben wurde, wie es in Regelmäßigkeit geschah. Es war nicht lange nachdem ich meinem Großvater erzählt hatte, dass ich als Erwachsener ein Wissenschaftler werden will, als er mir diesen Film zeigte, das Licht aus machte, und altmodisch gewachsene Maiskörner zum Platzen brachte. Es drehte sich um einen abenteuererprobten Wissenschaftler, genauer, einen Archäologen mit definitiv praxisorientiertem Forschungsgebiet und scheinbar großem Talent, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. In diesem zweiten Film der Reihe verschlug es ihn auf den indischen Subkontinent, und er musste einen alten religiösen Kult bekämpfen, in dem Menschenopfer als Rituale praktiziert wurden. Und wie damals, als kleiner Junge, schoss es mir mit der Stimme des sympathischen Praktikers ein: "Lauf so schnell du kannst. Dreh dich nicht um."

Und so passierte ich den Ensign zügig, stieg noch in den Turbolift, bevor sich die Türen schlossen, und kehrte in mein Quartier zurück. Dort angekommen stürmte ich, seltsamer Weise wieder alleine, umgehend zum Replikator und wies ihn an, mir zu Diensten zu sein. Aus dem blauen Schimmer der Materialisierung wurde geboren, worum ich ihn gebeten hatte, und sein schwarzer Umriss wirkte beinahe wie ein Omen. Ich nahm ihn in die Hand, drehte ihn ein Mal um die Längsachse, und zog ihn schließlich über. Mit der rechten Hand verschaffte ich mir Abhilfe, als ich den neuen, tiefschwarzen Handschuh über meine linke, künstlich totenbleiche Hand zog. Der Ärmel meiner Uniform reichte gut über den Rand des Handschuhs, und er saß wie angegossen. Schwarzer Stoff war der Körper dieses erzwungenen Accessoires, doch Grauen schien die Seele zu sein. Als wäre es ein sonderbares Kraftfeld, dass unter dem dünnen, künstlichen Material all das unter Verschluss hielt, was ich nicht im Sinn und im Gefühl gebrauchen konnte.





Die ersten Uplinks zu der Datenbank des zivilen Forschungsinstituts waren aktiv, und meine Kollegen hatten bereits damit begonnen, unserer Vorauswahl entsprechend mit unseren Informationen über die Spezies des nahen Delta-Quadranten zu verarbeiten. Ich hatte an einer der Konsolen des Computerlabors Platz genommen, die momentan mit einer Testversion einer neuen LCARS-Oberfläche für manche der Terminals in den wissenschaftlichen Laboren, und der Bibliothek gedacht war. Es war anscheinend besonders auf Datenverarbeitung ausgelegt, und, soweit ich einem spezialisierten Kollegen folgen konnte, mit einer optimierten Schnittstelle noch effizienter, und schneller. Mit einer nackten Hand und der anderen bearbeitete ich das Bedienfeld, während ich mich beruhigt zu haben schien. Ich war eigentlich gerade in meiner dienstfreien Zeit, doch so mancher der führenden Unteroffiziere und Patentinhaber schien Landurlaub bekommen zu haben. Ich schwärmte, dass ich die freie Zeit wohl eher für ausgiebigen Schlaf und eine ruhige Mahlzeit nutzen würde, und arbeitet weiter mit den Dateien, sichtete sie, fügte Schlüsselwörter in der Datenbank hinzu. Es galt Verweise und Querverbindungen zu erstellen, jeweils einen Kurzbericht zusammenzustellen, und die uns zugeteilten Abschnitte des Registers zu sichten. Ich stieß nach den ersten drei Stunden der Alpha-Schicht langsam ans Ende meiner Konzentrationsfähigkeit, und beschloss, es für den Moment gut sein zu lassen. Ich war an einem Punkt angekommen, an dem ich ohnedies einige Detailfragen hatte, und dazu musste ich versuchen, später einen der Doktoren von der Longstroem-Forschungseinrichtung zu erreichen.

Kurz überlegte ich, ob ich direkt mein Quartier aufsuchen sollte, und spielte mit dem Gedanken, zuerst die Krankenstation aufzusuchen. Es galt doch zu vermeiden, dass die Farbe der künstlichen Oberfläche dauerhaft ihren Leichenteint behielt. Ich starrte sie an, starrte den schwarzen Umriss meiner Finger, meiner Handfläche an, und für einen Moment hatte ich das Gefühl, ich würde in ein schwarzes Loch blicken würde, ins Herz der Singularität. Und ich hatte einen Gedanken, ein Empfinden, nein ich wusste wie von einer Eingebung berührt. Und danach von dem, was nur das Gegenteil all dieser Dinge war, und noch einiges mehr, nichts und zugleich alles, was man vermeiden wollte. Die leuchtenden Schaltflächen schienen unter dem stetig wachsenden Umriss dieser schwarzen Hand zu verschwinden, verschluckt vom Ereignishorizont der eigenen dunklen Seite, die sich durch dieses Bild vor Augen regte, wuchs, einen innerlich aushöhlte.

Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.
Cad Rubens Wolf hat das Hirn an den Toren der Akademie abgegeben...
Vi veri universum vivus vici.
Bild

"Oh du lieber Augustin!"
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